Liberatoren – Warum deine Ernährung nicht nur histaminarm sein sollte

Bei dem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) und Histaminintoleranz (HIT) ist eine histaminarme Ernährung das A und O für eine gute Stabilität, die für viele, mich selbst eingeschlossen, reine Lebensqualität bedeutet. Trotzdem wird oft vergessen, dass es auch noch andere Stoffe gibt, die gleiche Reaktionen wie das Histamin selbst auslösen können: Die Liberatoren. Aus dem lateinischen übersetzt bedeutet es etwa Befreier oder Erlöser. Liberatoren verursachen die Ausschüttung von körpereigenem Histamin aus Mastzellen. Dies nennt man auch Degranulation. MCAS ist eine, vermutlich genetische, multiorganische Erkrankung, basierend auf übersensibel reagierenden Mastzellen. Viele Folgeerkrankungen sind bekannt und gehen über die Reaktionen durch Lebensmittel hinaus, z.B. durch Duftstoffe, Reibung, Stress oder Chemikalien. In diesem Artikel möchte ich hauptsächlich über die oral eingenommenen Liberatoren sprechen, genauer gesagt die aus Lebensmitteln und Medikamenten. Aber zunächst schauen wir uns zunächst an, was eine Mastzelle ist und welche Funktion sie im Körper erfüllt.

Mastzellen zählen zu den weißen Blutkörperchen, auch Leukozyten genannt und sind überall in den Zwischengeweben und Hautoberflächen zu finden. Besonders vielzählig kommen sie in der Lunge, der Lederhaut und der Darmschleimhaut vor. Sie gehören zum angeborenen Immunsystem und fungieren als “Türsteher” an den Grenzen zwischen Körper und der Umwelt. Sie alarmieren durch biochemische Signale andere Immunzellen, wenn sie auf einen unerwünschten Eindringling treffen und sind für die sofortige Infektabwehr zuständig. Mastzellen haben in ihrem Inneren kleine kugelförmige Speicher, Granula, in denen sie über 600 biochemisch aktive Stoffe speichern, darunter auch das Histamin. Diese werden dann bei einer Reaktion freigesetzt, das nennt man dann Degranulation.

Video: Degranulation von Mastzellen
In diesem Video sieht man die Degranulierung vom Mastzellen. Man erkennt deutlich die Granula; kugelförmige Speicherkörper für über 600 biochemische Substanzen, unter anderem auch Histamin. Quelle: YouTube TIMELAPSE VISION.

Tückisch: Die zeitverzögerte Wirkung von Liberatoren

Bei Lebensmitteln mit einem erhöhtem Histamingehalt kommt es meist zu sofortigen, schnellen Reaktionen. Bei Liberatoren hingegen reagiert man erst Stunden oder sogar bis zu drei Tagen später. Dies führt oft zu Symptomen, die einen aus dem nichts kalt erwischen und die einen noch verzweifelter zurücklassen, weil man ja schließlich “histaminarm” gegessen hat. Oft führt dies zu falsch beschuldigten Lebensmitteln, die eigentlich verträglich sind. Hier kommt wahrscheinlich der oft wiedergegebene Satz her, dass “alles individuell verträglich sei”. Dieser suggeriert aber viele falsche und leider auch gefährliche Fehlinfomationen und vermittelt das Bild, man könne ja alles essen und es gibt kein grundlegendes Prinzip nach dem man Lebensmittel als verträglich oder unverträglich einteilen kann. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte: Vermutlich eine Mischung aus falsch interpretierten Reaktionen auf Liberatoren plus die vielen Zusatzerkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten, sowie einem allgemeinen schlechten Gesundheitszustand. Ja, aufgrund dieser vielen Faktoren sind einige Lebensmittel individuell verträglich, absolut. Aber bei aller Liebe: Wer regelmäßig Histamin- oder Liberatorbomben essen kann, hat sehr wahrscheinlich ein anderes gesundheitliches Problem. Ein Umstand, der gar nicht mal so unwahrscheinlich ist, da es zig tausende anderer Krankheiten gibt die gleiche Symptome auslösen können. Um ein wenig Licht in das Chaos zu bringen, empfehle ich deshalb ein sehr detailliert geführtes Ernährungstagebuch mit Symptomen. Beachten sollte man auch, dass ein allgemein schlechter Gesundheitszustand, ganz besonders spreche ich hier vom Darm, einen “auf alles” reagieren lassen kann. Hier können und sollten nicht verträgliche, histaminarme Lebensmittel in einer stabilen Phase wieder eingeführt werden.

Histamin und Liberatoren sind meist Produkte aus einem biochemischen Umwandlungsprozess, können aber auch natürlich in Lebensmitteln vorkommen. Sie bestehen in ihrer Grundform aus bestimmten Aminosäuren (Eiweißbausteine) und werden dann zu biogenen Aminen umgewandelt, z.B. die Aminosäure Histidin in das biogene Amin Histamin, Tyrosin in Tyramin (Liberator) usw. Manche Lebensmittel enthalten diese bereits von Natur aus in höheren, für Betroffene problematischen Mengen, z.B. in Tomaten oder aufgrund mikrobieller Prozesse wie in Sauerkraut.

Wichtig: Fast alle Lebensmittel, auch die uneingeschränkt erlaubten nach Sighi 0 oder der grünen Lebenmitteliste, enthalten Histidin, Histamin oder Liberatoren. Es kommt auf die enthaltene Menge und das Verhältnis an, ob es am Ende zu Symptomen führt. Bei den vielen Komorbiderkrankungen, Allergien und zusätzlichen Unverträglichkeiten sollten Betroffene zusätzlich auch auf deren individuelle Trigger achten und wenn möglich, diese meiden. Die genannten Lebensmittelisten findest du hier.

Histamin und Liberatoren stecken also in so ziemlich jedem Lebensmittel. Das Ziel ist es, eine bestimmte Menge nicht zu überschreiten. Diese Menge ist individuell, je nach den gesamten Gesundheitszustand sowie persönlicher Trigger des Betroffenen die zusätzlich zu einem erhöhten Spiegel beitragen. Ein verträgliches Lebensmittel wird dadurch aber nicht unverträglich. Eine Reaktion auf absolut histaminarme Lebensmittel, z.B. Gurke, Paprika oder Trauben sind höchstwahrscheinlich auf die bereits genannten, zusätzlichen Unverträglichkeiten, Krankheiten oder Allergien zuzuschreiben, die jedoch auch dann trotzdem zu einer zusätzlichen Ausschüttung von Histamin beitragen, aufgrund der damit verbundenen Mastzellreaktion.

Das gleiche Prinzip gilt übrigens auch für bestimmte Medikamente. Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) zum Beispiel wie Citalopram oder Sertralin, sind laut Studien in Normaldosierung unverträglich, beziehungsweise ein Liberator. Sie können aber als niedrig dosiertes Medikament eine Option sein. Mastzellen produzieren selbst auch Serotonin, weshalb es bei einer Einnahme zu einem Serotoninsyndrom kommen kann. Bespreche die Optionen bitte immer mit deinem Arzt. Infosammlungen zur Unterstützung bei medikamentöser Therapie für dich und deinen Arzt findest du hier.

An dieser Stelle wird ein Artikel über Mastzellen, Histamin, Psyche und Antidepressiva verlinkt, sobald er fertig ist.

Aminosäuren und ihre biogenen Amine. Bekannte, oral eingenommene Histaminliberatoren sind: Tyrosin/Tyramin, Tryptophan/Serotonin, Ornithin/Putrescin, Phenylalanin/Phenylethylamin. Außerdem Alkohol sowie bestimmte Medikamente, Chemikalien und Zusatzstoffe aus der Lebensmittelindustrie.

Histamin, Liberatoren und Diaminoxidase (DAO)

Liberatoren werden bei der Verdauung dem Histamin biochemisch vorgezogen und verbrauchen auch das histaminabbauende Enzym Diaminoxidase (DAO). Ein Mangel an DAO ist allerdings die Hauptursache einer Histaminintoleranz , welche interessanterweise beim Mastzellaktivierungssyndrom fast immer vorhanden ist. DAO wird zu 70-90% von (gesunden), spezifischen Dünndarmschleimhautzellen, den Enterozyten, produziert. Wenn wir also aufgrund der modernen Ernährung plus anderer Faktoren eine schlechte Darmgesundheit haben, werden diese Zellen in ihrer Funktion gestört und können folglich nicht mehr genug DAO produzieren. Liberatoren reduzieren also die bereits verringerte Diaminoxidase, was zu einem weiteren verminderten Abbau von Histamin. Zusätzlich triggern sie die Mastzellen in der Darmschleimhaut zur Degranulation. Deshalb ist es enorm wichtig, sich nicht nur histaminarm sondern auch liberatorarm zu ernähren, da dies mit der körpereigenen Histaminausschüttung zusammenhängt.

Beim Mastzellaktivierungssyndrom geht man von einer erschreckend hohen Dunkelziffer von 17% der deutschen Gesamtbevölkerung aus. Das wären aktuell über 14 Millionen Betroffene, nur in Deutschland. Die Zahlen für den Enzymmangel Histaminintoleranz sprechen eine andere Sprache. Hier sind es 1% Dunkelziffer für die sehr seltene, genetische Form sowie 5% für die erworbene Form. Da die Histaminintoleranz aber überdurchschnittlich oft bei MCAS-Betroffenen vorkommt, ist es eventuell eine direkte Folge der Erkrankung. Zumindest vermutet dies Prof. Dr. Molderings, der zum Thema maßgeblich zur Aufklärung beigetragen hat und viele Studien über MCAS veröffentlicht hat. Da meist noch andere unzählige, zusätzliche Erkrankungen, Allergien sowie Unverträglichkeiten vorhanden sind und die Diagnostik noch nicht standardmäßig flächendeckend durchgeführt wird, sind hier noch viele Fragen offen und Stand aktueller Forschung. Es ist jedenfalls eine gute Idee, sich grundsätzlich darmfreundlich und so clean wie möglich zu ernähren und zu leben, damit sich der Körper wieder stabilisieren kann.

Eine schöne und symptomfreie Zeit

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