Das Mastzellaktivierungssyndrom, kurz MCAS, zählt zu den neu endeckten Erkrankungen. Das erste wissenschaftliche Paper, welches auf die mögliche Existenz dieser Erkrankung aufmerksam machte, stammt aus dem Jahr 1991. Mittlerweile geht man von einer Dunkelziffer MCAS-Betroffener in den westlichen Staaten von 17% aus. Zum Leidwesen vieler Betroffener ist MCAS in medizinischen Kreisen immer noch wenig bekannt und hat, im Gegensatz zu den USA, in Deutschland noch keinen ICD 10 Schlüssel. Man findet zwar mittlerweile spezielle Mastozytosesprechstunden in den meisten großen Kliniken, MCAS wird dort allerdings nicht diagnostiziert oder behandelt, was viele Betroffene zurecht frustriert und verwirrt.
MCAS wird als multisystemische Erkrankung beschrieben, denen genetisch mutierte Mastzellen zugrunde liegen. Mastzellen sind die Wächter unseres Immunsystems. Wenn man den Fakt beachtet, dass Mastzellen im gesamten Körper verteilt sind und diese an die 1000 biochemisch aktive Stoffe produzieren, die bei einer Reaktion ausgeschüttet werden, fällt es nicht mehr so schwer sich vorzustellen, dass eine MCAS weitreichende, gesundheitliche Probleme verursacht. Die Mastzellen sind durch eine genetische Mutationen den KIT-Gens hypersensibel. Sie sind also überaktiv und reagieren auch nichtimmunologisch auf Reize, die eigentlich harmlos sind. Diese Reize können biogene Amine aus der Nahrung, aber auch Medikamente, Zusatzstoffe, Chemikalie, Duftstoffe und Kosmetika sein. Deshalb spricht man auch von pseudoallergischen Reaktionen. Auch tritt die Erkrankung überdurchschnittlich häufig mit einigen anderen Erkrankung auf, darunter das Ehlers-Danlos-Syndrom, diverse Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Atopie, Allergien, POTS sowie gewisse, entzündliche Erkrankungen im Genitalbereich. Mit letzteren habe ich immer wieder durch Kontakt mit anderen Betroffenen in meinen Facebookgruppen zu tun. Wie üblich beim Thema Mastzellerkrankungen, gibt es hier keine einfache Antwort, dafür wissenschaftlich fundierte Hinweise, die auf eine Verbindung hinweisen.
MCAS und die Verbindung bei interstitieller Zystitis, Vulvodynie und dem Blasenschmerzsyndrom
In mehreren, voneinander unabhängigen Studien aus dem Jahr 2015/16 wurde die Verbindung von Mastzellen und interstitieller Zystitis/dem Blasenschmerzsyndrom und der Vulvodynie untersucht. Eine Studie untersuchte sogar die Verbindung speziell beim Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) und fand eindeutige Beweise für ein ein häufiges, gemeinsames Auftreten sowie dem MCAS als warscheinlichen Hauptauslöser bei Betroffenen(1). In einer Veröffentlichung von 2015 wurden Biopsien von 35 Probanden mit Vulvodynie auf bestimmte Mastzellfaktoren untersucht, von denen am Ende 31 als sekundäre Mastzellerkrankung bestimmt wurden und ein Hinweis auf ein (über)aktives Immunsystem bei 75% der Vulvodynie-Betroffenen darstellt.(2)
Eine andere Publikation aus dem TAU Translational, Andrology and Urology Fachmagazin von 2015(3) kommt zu dem Schluß, dass das Blasenschmerzsyndrom, Vulvodynie und interstitielle Zystitis aus verschiedenen, medizinischen Gesichtspunkten stark miteinander verwoben sind und dass dies der Grund dafür ist, warum bei allen 3 Erkrankungen eine sehr ähnliche Reaktion bei Therapien beobachtet wird.
Eine weitere Studie aus dem gleichen Fachmagazin von 2016(4) unterstreicht nochmals die Bedeutung von Mastzellen bei Schmerzsyndromen, ganz speziell bei interstitieller Zystitis/dem Blasenschmerzsyndrom und wie wichtig eine korrekte Diagnosefindung ist. Zwar ist die Messung von Tryptase mittlerweile Standard, aber im Gegensatz zur Mastozytose, wo dessen Wert 20ng/dl überschreitet und sehr eindeutig ist, liegt der Wert bei MCAS meist im Normbereich oder ist nur leicht erhöht. Um hier einen aussagekräftigen Tryptasewert zu bekommen, muss dieser innerhalb von 4 Stunden nach einer Reaktion gemessen werden. Hier wird darauf hingewiesen, dass in diesem Fall eine Messung des mastzellspezifischen Antigens CD-117 eine bessere Wahl ist, da es eine Aussage über die gesamte Anzahl der Mastzellen erlaubt, anstatt eines bestimmten Wertes. Von der Granulation spricht man, wenn die Mastzelle ihren Inhalt mit über 1000 biochemischen Stoffen als Folge einer Reaktion in ihre Umgebung abgibt. Das nennt man dann Degranulation.
Des Weiteren werden noch die Erkrankungen Lichen Planus und Lichen Sclerosis in Studien mit einem erhöhten aufkommen von Mastzellen untersucht. Beim Lichen Planus wurden die Biopsien von der Vorhaut von 117 Männern untersucht, mit dem Ergebnis, dass in atypische Mastzellinfiltrate gefunden wurden welche ein starker Hinweis auf eine mögliche Mastzellerkrankung sein kann.(5) Beim Lichen Sclerosis scheint es bereits sehr starke Hinweise auf ein gehäuftes Auftreten bei einem MCAS zu geben.(1)
Leidet man an unerklärlichen, wiederkehrenden Beschwerden wie Schmerzen, Schwellungen, Jucken oder Brennen im Genitalbereich und kann sich keinen Reim darauf machen, sollte dringend ein Arzt aufgesucht werden. Die erste Adresse sollte der Gynäkologe/Urologe des Vertrauens sein. Doch Vorsicht: Nicht alle kennen sich mit den oben genannten Erkrankungen oder dessen Diagnostik aus. Es ist empfohlen, die verlinkten Seiten zu den einzelnen Erkrankungen durchzulesen und so gut wie möglich vorbereitet zum Arzt zu gehen. MCAS ist eine komplexe Erkrankung und es wird noch sehr viel an Forschung und fachlichem Diskurs benötigen, um die Verbindungen zu bestimmten Erkrankungen, aber auch um eine bessere und vor allen Dingen schnellere, medizinische Versorgung Betroffener zu gewährleisten.
- Quellen:
- (1) Mast cell activation syndrome in pain syndromes bladder pain syndrome/interstitial cystitis and vulvodynia, Transl Androl Urol. 2016 Jun; 5(3): 396–397. doi: 10.21037/tau.2016.03.12
- (2) Mast cell infiltrates in vulvodynia represent secondary and idiopathic mast cell hyperplasias; Sigrid Regauer; APMIS 2015 May;123(5):452-6. doi: 10.1111/apm.12372
- (3) Similarities between interstitial cystitis/bladder pain syndrome and vulvodynia: implications for patient management; Jennifer Yonaitis Fariello; Transl Androl Urol. 2015 Dec; 4(6): 643–652. doi: 10.3978/j.issn.2223-4683.2015.10.09
- (4)The importance of mast cells in interstitial cystitis/bladder pain syndrome; Vicki Ratner; Transl Androl Urol. 2016 Jun; 5(3): 398. doi: 10.21037/tau.2016.03.19
- (5) Benign mast cell hyperplasia and atypical mast cell infiltrates in penile lichen planus in adult men; Sigrid Regauer; Histol Histopathol 2014 Aug;29(8):1017-25. doi: 10.14670/HH-29.1017. Epub 2014 Jan 9
Bei mir fing die Vulvodynie und das Blasenschmerzsyndrom nach Ciprofloxacin an.Mal ganz abgesehen von den ganzen,plötzlichen Unverträglichkeiten (Lebensmittel,Medikamente,NEM usw) danach.Ich kam recht schnell auf HIT/Mcas und habe meine Ernährung umgestellt (auf alle Fälle eine Verbesserung-auch Blasentechnisch) – nur stehe ich ganz alleine da und weiß einfach nicht weiter.Ich bin sehr oft völlig verzweifelt – Lebensqualität Fehlanzeige.Auf AHs reagiere ich übel – ich habe viele durch (außer Ketotifen)-keinerlei Verbesserung (auch auf AH aus der Klösterl Apotheke).Leben geht anders.
Hallo liebe Nadia,
erstmal lieben Dank für dein Kommentar.Das Antibiotikum Ciprofloxacin schädigt tatsächlich mitochrondriale DNA (Mitochondrien befinden sich innerhalb von Zellen und sind unsere “Kraftwerke”) und führt zu irreparablen Schäden für die Gesundheit. Dies konnte mittlerweile nachgewiesen werden. Inwieweit dies mit einer Mastzellaktivierung im Zusammenhang steht, ist nicht klar. Eine erworbene Histaminintoleranz hingegen ist ein Enzymmangel des Stoffes Diaminoxidase (DAO), welche zu 70-90% von spezifischen Dünndarmschleimhautzellen produziert wird. Ob die mitochondriale Schädigung eine mögliche (weitere) Ursache für eine verminderte oder gestörte DAO-Produktion wäre, stellt eine sehr interessante Frage dar, auf die wir aber leider (noch) keine Antwort haben.
Hier sind noch zwei Artikel wo du mehr darüber lesen kannst:
1.https://www.pharmazeutische-zeitung.de/massive-dna-schaeden-durch-ciprofloxacin/
2.https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/a-f/fluorchinolone-bewegungsapparat.html
Ich verstehe natürlich deinen Frust. Ich selbst habe fast zwei Jahre lang im Bett gelebt. Meine Lebensqualität war sehr niedrig, ich dachte ehrlich; das war´s jetzt. Und doch habe ich mich ins Leben zurück gekämpft. Ich glaube fest daran, dass du auch noch viele Möglichkeiten der Verbesserung vor dir hast, bitte gibt nicht auf! Das ist einer meiner Hauptantriebsfedern, da ich selbst erlebt habe, wie es sich zum positiven verändern kann. Deshalb ist es mir so wichtig anderen Betroffenen mit fachlichen Informationen zu helfen. Es kostetnatürlich Energie und genau damit müssen wir haushalten. Ich hoffe im nächtsten Jahr auf einen Verlag, da ich mein “Immel Programm” unter die Betroffenen bringen möchte. ich möchte dich jetzt hier aber nicht ohne etwas gehen lassen. Deshalb hier einige wichtige Tipps von mir, die du ausprobieren kannst um deinen Zustand zu verbessern:
1. Eine Pflanzenbasierte, “cleane” Ernährung (Keine E-Stoffe, Farbestoffe etc.) und Suppleente, bzw. Nährstoffdefizite abklären udn auffüllen lassen. Diese Stoffe sind enorm wichtig für Schmerzrezeptoren und anti-entzündliche Vorgänge für die Selbstheilungsprozesse des Körpers.
2. Ein halbes Jahr ganz auf Tiermilchprodukte, Fleisch und Eier verzichten. Diese Lebensmittel enthalten nicht nur problematische Hormone (Estradiol in Milch und Käse) sondern auch zu viele Omega 6 Fettsäuren, Arachnidonsäure und andere Stoffe, die entzündungsfördernt sind und damit auch die Nerven ständig reizen, was zu weiteren Schmerzen und eineer Sensibilisierung dafür führt. Du wirst hier eine Verbesserung deiner Lebensqualität/Symptome erfahren. Nach dieser Zeit kannst du erwägen, diese Lebensmittel wieder einzuführen, allerdings sollten diese eher die Ausnahme bei der Ernährung darstellen.
3. Lebenstilanpassungen nach der Natur: IMMER zu gleichne Zeit ins Bett und aufstehen. Sanftes Qui-Gong, Yoga etc jeden Morgen. Hier gibt es viele Gratis Videos auf Youtube, du soltest dir nur eine Yogamatte kaufen, deine Knie werden es dir danken. Lebe nach den natürlichen Rhythmen der Natur.
4, Frauenmantelkrauttee ausprobieren. Ab 14 Tagen vor der Periode jeden Tag maximal 2 Tassen trinken. Hat eine Anti-Östrogen Wirkung und kann so die Nerven eventuell beruhigen.
Ansonsten habe ich noch ein sehr ausführliches PDF gefunden, wo die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten aufgelistet werden. Am besten, du nimmst dies zu deinem Gynäkologen mit, der dich diagnostiziert hat, und besprichst dies mit ihm/ihr.
https://www.rosenfluh.ch/gynaekologie-2019-01/vulvodynie-multimodales-behandlungskonzept
Alles Gute für dich und einen symptomfreien Tag
Hervorragende Informationen über Beschwerden, die viele Frauen quälen und bei denen die Ärzte hilflos sind,
Danke für dein Kommentar ♡
Ich finde es auch enorm wichtig, die ganzen losen Enden miteinander zu verbinden. All diese Informationen sind so unglaublich wertvoll und können einer Diagnose oder Behandlung zuträglich sein und so vielleicht einigen Betroffenen helfen, ihr Leid schneller zu verringern. Leider dauert es im Schnitt 30 Jahre bei MCAS bis zu einer Diagnose.