Antihistaminika und ihre Wirkung auf Histaminrezeptoren

Das Thema Histamin ist unser aller täglich Brot und wir Betroffenen kennen dessen Wirkung leider nur zu gut. Da wir ein gestörtes Histamin-IN, Histamin-OUT Verhältnis in unserem Körper haben, sammelt sich zuviel Histamin durch die zugeführte Nahrung in uns an oder es wird von körpereigenen Mastzellen durch andere Trigger, wie z.B bestimmte Zusatzstoffe oder Medikamente ausgeschüttet. Egal ob nun Histaminintoleranz (HIT), Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) oder oft beides zusammen; wir leiden dadurch an einer Fülle an mannigfaltigen Symptomen. Zum Glück gibt es jedoch Medikamente, die diese Reaktionen im Rahmen halten und vielen so eine Erleichterung im Alltag und somit eine Erhöhung der Lebenqualität geben können. Allen voran die Wirkstoffgruppe der Antihistaminika. Bei HIT und MCAS erfolgen sogenannte pseudoallergische Reaktionen. Das heißt, dass die Reaktion wie bei einer echten Allergie stattfindet, dallerdings ohne sonst beteiligten IgE-Antikörper. Stattdessen erfolgt eine Reaktion auf zuviel Histamin oder auf andere Stoffe wie Liberatoren aus Nahrungsmitteln, Medikamenten, Zusatz- und Füllstoffe etc. . Antihistaminika blockieren die Wirkung von Histamin an spezifischen Histaminezeptoren, von denen es vier unterschiedliche gibt. Im Fachjargon werden Antihistaminika auch Rezeptor-Antagonisten bezeichnet, was passend Gegenspieler bedeuted. Aber wo genau liegen die Unterschiede und warum brauchen wir verschiedene Wirkstoffe?

Die Histaminrezeptoren

Das Histamin wirkt im Körper über die Interaktion mit vier Histaminrezeptoren. Diese befinden sich an bestimmten Orten und haben so ganz unterschiedliche Auswirkungen, wenn diese aktiviert werden. Wir benötigen allerdings auch eine gewisse Menge Histamin um gesund und wach zu bleiben. Die Lösung lautet also nicht, alles Histamin zu eleminieren, sondern auf ein normales Maß zu reduzieren.

H1-Rezeptor

ℹ️Das H1 steht als Abkürzung für Histamin1-Rezeptor. Dies gilt folgend für alle weiteren aufgeführten Rezeptoren.

H1-Antihistaminika der ersten Generation unterscheiden sich in den Wirkungen gegenüber denen der zweiten Generation. Die Antihistaminika der ersten Generation haben weitaus weniger Nebenwirkungen, haben dafür aber eine stark sedierende Wirkung. Bei der zweiten Generation ist es umgekehrt: Sie machen wenig oder gar nicht müde, haben dafür aber ein größeres Nebenwirkungsprofil. An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen, dass hier in fast allen Fällen bei Unverträglichkeitsreaktionen auf die Füll- und Zusatzstoffe reagiert wird und nicht auf den Wirkstoff selbst. Ein Individualrezept welches man sich in der Apotheke anmischen lässt, wäre hier die Lösung.

Wo zu finden: ZNS (Zentrales Nervensystem, Nervenzellen), Glatte Muskulatur (Atemwege, Blutgefäße, Darm, Geschlechtsorgane, Harnwege, Herz), Zellmembranen von Immunzellen (U.a. Mastzellen)

Wirkung: Hormonstimulation, Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus, erhöhte Gefäßpermeabillität ↑ (Durchlässigkeit), Regulierung des Blutdrucks ↓, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Juckreiz, Schmerzen, Muskelkontraktionen ↑ (Zusammenziehen), Entzündungen ↑, Regulierung der Körpertemperatur, Ödeme (Wasseransammlungen), Urtikaria (Nesselsucht; Hautausschläge)

Wirkstoffe: H1-Rezeptor-Antagonisten der ersten Generation: Diphenhydramin, Clemastin, Dimetinden, Doxylamin, Meclozin. Wenig Nebenwirkungen, allerdings stark sedierend.

H1-Rezeptor-Antagonisten der zweiten Generation: Cetrizin, Ebastin, Bilastin, Loratadin, Terfenadin, Levocabastin, Bilastin, Azelastin. Mehr Nebenwirkungen, allerdings nur leicht oder gar nicht sedierend.

H1-Antihistaminika der 3. Generation: Desloratadin, Fexofenadin, Levocetrizin, Rupatidin. Außer einem veringerten Herz-Rhythmus-Störungen Risiko von Fexofenadin gegenübner Terfenadin gibt es es ansonsten keinerlei therapeutische Vorteile. Die dritte Generation wird auch gerne als reines Marketing genannt, da sie ansonsten keine signifikanten Unterschiede zur zweiten Generation aufweisen.

ℹ️Eine konstante Einnahme des Wirkstoffes Diphenhydramin über lange Zeiträume geht mit einem erhöhten Demenz-Risiko ein (1) (2). Besonders in den USA ist der Wirkstoff unter dem Namen Benadryl ein sehr häufig verschriebenes und genutztes Medikament bei dem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS). Bei uns wird es meist für Reiseübelkeit eingesetzt. Bekannte Präperate bei uns sind z.B. Vomex.

H2-Rezeptor

Wo zu finden: Magen (Parietalzellen), Glatte Gefäßzellen, Glatte Muskelzellen, ZNS (Zentrales Nervensystem, Nervenzellen), Herz, spezifische weiße Blutkörperchen (T-Zellen, Neutrophile, Mastzellen)

Wirkung: Entspannung glatter Muskelzellen, erhöhte Gefäßpermeabillität ↑ (Durchlässigkeit), Magensäuresekretion ↑ (Anregend), Tachykardie ↑ (Beschleunigter Puls und Herzrasen), Entzündungen ↑.

Wirkstoffe: Famotidin, Cimetidin (❗Gilt als DAO-Blocker), Nizaldin, Ranitidin (Zulassung ruht bis 2023 (3)), Lafutidin, Roxatidin

ℹ️ Beim Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) besteht die Basistherapie meist aus einer Kombination von H1 mit H2-Antihistaminika. Hier geht man mit ärztlicher Begleitung nach dem Trial-and-Error-Prinzip (engl; etwa: Ausprobieren und Abwarten) vor um die bestmögliche Wirkung und Kombination für Betroffen zu finden. Hierzu findest du (bald) ein umfangreiches PDF unter den Downloads vom CBT in Bonn.

H3-Rezeptor

Entgegen der Wirkung von H1/H2-Antihistaminika werden H3-Antagonisten nicht für (pseudo)allergische Symptome eingesetzt, sondern für ganz bestimmte Erkrankungen, z.B. Epilepsie oder Narkolepsie. Sie haben somit zur Zeit keinerlei therapeutische Bedeutung für die Behandlung von HIT oder MCAS.

Wo zu finden: ZNS (Zentrales Nervensystem, Nervenzellen), PNS (Peripheres Nervensystem), Endothelzellen (Zellen im Inneren von Gefäßen), Enterochromaffine Zellen (spezifische Dünndarmzellen)

Wirkung: Regulierung der Körpertemperatur, Blockierung der Aktivität von Calciumkanälen ↓ (Faktor für die Freisetzung von Neurotransmittern), Regulierungs des Blutdrucks, Regulierung von Hunger- und Durstgefühl, Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus

Wirkstoffe: Betahistin,, Burimamid, Ciproxifan, Proxyfan, Clobenpropit, Impentamin, Thioperamid, Pitolisant

ℹ️ H3-Antihistaminika blockieren Stellen in Synapsen (Spalten in denen die biochemische Kommunikation von den Nerven abläuft) in denen das Histamin, aber auch weitere Neurotransmitter wie Serotonin, Acetylcholin und Noradrenalin an ihrer Wirkung gehindert werden und sich dann dementsprechend dort anreichern. Dieser Effekt ist bei den oben genannten Erkrankungen erwünscht. Bei HIT oder MCAS wäre eventuell eine eher negative Wirkung zu erwarten. Viele neurologisch-psychologische Symptome basieren auf einem bereits erhöhtem Histaminspiegel im Gehirn. Theoretisch müsste sich durch die Blockierung und folgend die Anreicherung mit noch mehr Histamin die Symptomatik verschlimmern.

H4-Rezeptor

Dieser Rezeptor ist Gegenstand aktueller Forschung da er erst im Jahr 2000 entdeckt wurde. Wird von Körper Histamin in Folge einer Immunreaktion ausgeschüttet, dienen die H4-Rezeptoren dazu bestimmte Zellen zu der Histaminquelle hinzuleiten. Eine Art biochemischer Wegpfeil, der sie zu dem Ort hinführen soll, an dem sie benötigt werden. Außerdem aktivieren Sie bestimmte Immunzellen oder hemmen die biochemische “Kommunikation”. Sie sind also maßgeblich für Immun- und Entzündungsreaktionen. Es gibt bisher nur sehr wenige Präperate auf dem Markt. H4-Antihistaminika werden zur Zeit als potentielle Behandlung von allergisch-entzündlichen Vorgängen diskutiert.

Wo zu finden: Zellen des Immunsytems und des blutbildenden Systems (u.a. T-Lymphozyten, eosinophile Granulozyten)

Wirkung: Regulierung von Calciumionen in Zellmembranen (Aktivierung von Zellen/Immunreaktionen ↑), Hemmung von bestimmten Botenstoffen in Zellmembranen ↓ (Kommunikation zwischen äußerer Zellmembran und innerer Zelle), Maßgeblich für die Wanderung von spezifischen Zellen hin zu Histaminquellen, Entzündungen ↑

Wirkstoffe: Clobenpropit, Thioperamid

ℹ️ Bis etwa 2018 gab es einen zusätzlichen Kandidatenwirkstoff names JNJ-7777120. Dieser schaffte es allerdings nicht in die klinische Phase*1 aufgrund von einer sehr kurzen Halbwertszeit*2 sowie eine Hypoadrenokortizismus*3 auslösende Wirkung bei lebenden Ratten und Hunden (4).

*1 Die klinische Phase ist die erste Testung eines Wirkstoffes an Menschlichen Zellen oder an freiwilligen Probanden. Diese efolgt in vier Studienphasen. Vor einer klinischen Phase bestehen die Forschungphasen an der Testung des Wirkstoffes an Zellkulturen und später an lebenden Tieren. Vor dieser Phase haben die Stoffe deshalb andere Bezeichungen. Erst, wenn sie in die klinische Phase übergehen, bekommen sie ihren Wirkstoffnamen.

*2 Die biologische Halbwertszeit beschreibt die Zeit, in der die Hälfte eines Wirkstoffes im Körper wieder abgebaut wurde.

*3 Hypoadrenokortizismus beschreibt eine Unterfunktion der Nebennierendrinde. Sie ist auch als Morbus Addison bekannt

Es bleibt spannend (und hoffungsvoll!)

Besonders die H4-Antagonisten könnten potentiell eine neue Therapieoption für Histaminintoleranz und Mastzellaktivierung darstellen. Aber auch an anderer Stelle gibt es interessante Neuigkeiten: Hierzu haben Prof. Dr. Molderings und Wolfgang Taumann MC Sciences in das Leben gerufen. Prof. Molderings ist einer der führenden Mastzellforscher und hat unzählige Studien zu dem Thema publiziert. MC Sciences arbeitet an ganz neuen Optionen für die Therapie von Mastzellaktivierungserkrankungen wie MCAS oder Mastozytose. Es bleibt also spannend. Ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt jedoch: Bis diese neuen Therapieoptionen für uns erhältlich sind, werden noch viele Jahre vergehen. Die Wirkstoffe müssen es alle zuerst in die klinische Phase schaffen. Und trotzdem sind diese Neuigkeiten ein Grund zur Hoffnung für uns. Passend möchte an dieser Stelle meinen Artikel mit einem Spruch beenden, den ich letztens irgendwo gelesen habe:

Denken müssen wir ja sowieso, also warum nicht gleich positiv?

Quelle: Unbekannt

In diesem Sinne, eine schöne und symptomfreie Zeit.

⚠️Hinweis: Dieser Artikel enthält keinen medizinischen Rat oder ist als Aufforderung zur Eigentherapie zu verstehen. Ich bin Ernährungs-und Gesundheitsberaterin sowie Wissenschaftsnerd. Mein Ziel ist es, anderen Betroffenen komplexe Themen verständlich zu erklären und neue Optionen aufzuzeigen.


Quellen:
1. https://www.alzdiscovery.org/uploads/cognitive_vitality_media/Diphenhydramine-Cognitive-Vitality-For-Researchers.pdf
2. H.C. George Wong, MD; Long-term use of diphenhydramine; CMAJ. 2015 Oct 6; 187(14): 1078.
3. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/alle-ranitidin-zulassungen-ruhen-vorlaeufig-122985/
4. https://en.wikipedia.org/wiki/JNJ-7777120

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